Das Interesse an Clean Beauty und Naturkosmetik wird immer größer, doch wie sieht es mit der Nachhaltigkeit und den natürlichen, biologischen Inhaltsstoffen eigentlich in der Parfüm-Industrie aus? Worin unterscheiden sich vegane Düfte von den herkömmlichen, worauf könnten Hersteller achten – von Anbau und Ernte bis hin zu den Produktionsprozessen und der Verpackung? Genau darüber haben wir mit dem Berliner Parfümeur Stefan Kehl gesprochen.
Unser Experte:
Stefan Kehl hat früher als Hair & Make-up Artist gearbeitet, 2017 gründete er mit Ted Young-Ing, ehemaliger Art Director der Gucci Group, die Parfümmanufaktur AER Scents. Alle ihre Düfte sind vegan, 100 Prozent natürlich, unisex und werden im Berliner Atelier handgefertigt und abgefüllt. Sie werden als hochkonzentrierte Parfums entwickelt und sind frei von synthetischen Duft- und Konservierungsstoffen, stattdessen wird mit pflanzlichen Rohstoffen wie beispielsweise Weißem Pfeffer, Madagaskar-Vanille, Patchouli, Rosmarin, Tonkabohne oder Grapefruit experimentiert.
Inwiefern findet das Thema Nachhaltigkeit in der Parfüm-Industrie statt?
Als wir unsere Manufaktur vor drei Jahren gegründet haben, gab es kaum Produkte in dieser Richtung. Mittlerweile haben wir mehrere Mitbewerber und sogar in Drogerien werden Parfüms angeboten, die zu 100 Prozent natürlich sein sollen. Viele Hersteller betreiben jedoch Greenwashing, sie kommunizieren es zwar, das stimmt aber nicht.
Wie kann das sein?
Im Kosmetikbereich ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass die Inhaltsstoffe auf die Verpackung gedruckt werden müssen. Die einzige Ausnahme ist die Parfüm-Industrie, wo die Bezeichnung „Parfüm“ ausreichend ist. Dahinter kann sich dann alles mögliche verbergen, von Färbe- und Konservierungsmitteln bis hin zu hormonell wirksamen chemischen UV-Filtern und Duftstoffen, die sich im Körper anreichern, in der Muttermilch und im Erbgut nachgewiesen werden können und sich in der Umwelt nicht abbauen. Ein Endverbraucher kann sich nur dann darauf verlassen, dass er tatsächlich natürliche Produkte in den Händen hält, wenn er von transparenten Marken kauft, die diese Angaben freiwillig machen.
Wann ist ein Parfüm vegan?
Wenn es ohne tierische Zusatzstoffe auskommt. Traditionell hat man Parfüms früher mithilfe von Sekreten aus den Drüsen von Moschus-Ochsen, Bibern oder Zibet-Katzen hergestellt, sie fixieren Düfte auf der Haut und machen sie länger haltbar. Ambra ist zudem eine Substanz aus dem Darm von Walen, einer der teuersten Düfte, die es in der Natur gibt.
Da diese tierischen Duftstoffe in der Branche mittlerweile sehr verrufen sind, da viele Tiere dafür sterben, untersuchen Parfümeure jetzt die Molekularstrukturen der Stoffe und ahmen sie auf synthetische Weise nach. Diese Düfte sind dann zwar vegan, aber noch lange nicht natürlich, weil sie synthetische Kreationen aus Erdöl-Derivaten und anderen chemischen Stoffen sind.
Inwiefern arbeitest du anders als klassische Parfümeure?
Es scheint mir, dass die Expertise der Parfümeure über die Zeit verloren gegangen ist. In der Ausbildung lernen sie ganz traditionell, wie man Moleküle so lange übereinander schichtet, bis man etwas erhält, das riecht wie eine Rose.
Ich hingegen verwende direkt eine Rose. Meine Arbeit besteht vorrangig darin, verschiedene Pflanzen so zu arrangieren, dass sie nicht nach Sauna, sondern elegant und fein riechen.
Die AER Scents sind natürliche Düfte und enthalten ausschließlich pflanzliche Inhaltsstoffe. Woher bezieht ihr diese?
Fast alle unsere Rohstoffe stammen aus kontrolliert-biologischem Anbau, mit Ausnahme von denen, die wild wachsen. Wir beziehen sie von kleinen lokalen Produzenten, die nachhaltig anbauen und ernten, mit traditionellen Techniken arbeiten und fairen Handel praktizieren. Dabei ist uns außerdem wichtig, dass wir keine Rohstoffe aus Ländern bestellen, in denen diese gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind, so, wie etwa der wilde Wacholder in Schottland.
Wie entwickelst du aus den Zutaten dann ein Parfüm?
Ich experimentiere und erstelle in meinem Labor zuerst ein Rezept, dieses schicke ich zu einem unabhängigen Labor, damit es meine Berechnungen über Allergene bestätigt. In diesem Prozess geht es um den Endverbraucherschutz. Die Pflanzen und die Pflanzenextrakte, die wir verwenden, dürfen natürlich keinerlei verstecke Inhaltsstoffe aufweisen, darauf legen wir großen Wert. Danach geht es an die Beschaffung der Ware in größeren Mengen. Diese mixe ich mit einer Wage auf den Milliliter genau zusammen und lasse die Flüssigkeit einen Monat lang unter Gas stehen, damit keine Oxidation stattfindet. Danach wird sie mit Alkohol versetzt, weitere Tage stehen gelassen, zum Schluss gefiltert und abgefüllt. Dieser handwerkliche Prozess eines neuen Duftes dauert insgesamt circa zwei bis drei Monate.
Wie sieht es mit der Nachhaltigkeit bei der Verpackung aus?
Natürlich muss man auch die Verpackung durchdenken, welche Farbe wird beim Drucken benutzt? Sind Kleber und Label abbaubar? Unsere Verpackungen werden nicht foliert, sie sind wiederverwendbar und recyclebar.
Wie schätzt du die Zukunft der Parfümindustrie ein?
Die großen Hersteller werden irgendwann Probleme bekommen, weil die Forderungen der Konsumenten nach natürlichen Inhaltsstoffen immer lauter werden und sie ihre Produktionen nicht so leicht umstellen können. Wir stellen uns mit AER Scents dieser Herausforderung, wir versuchen, so transparent und offen wie möglich zu arbeiten und so menschen-, umwelt- und tierfreundlich wie es nur geht zu produzieren. Liebevoll und wohlwollend. Wohin die Reise geht, wissen wir nicht, aber wir sind sicher, dass sie zu etwas Gutem führt. Wie der Massenmarkt sich in Zukunft verhalten will, diese Frage muss er sich selbst beantworten.
Folge AER Scents auf Instagram: @aerscents
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